«Nachhaltiges Handeln einfach und attraktiv machen»

Für Biogemüse, Naturkosmetik und Ökomode mehr bezahlen? Das ist etwas für Ökofans, sagt Johanna Gollnhofer, Marketingprofessorin an der Universität St.Gallen. Um die breite Masse zu einem nachhaltigen Konsum zu bewegen, brauche es andere Mittel. Welche, das verrät sie in ihrem neuen Buch «Das 60 % Potenzial»– und in unserem Interview.

Johanna Gollnhofer, in Ihrem Buch teilen Sie und Ihr Co-Autor Jan Pechmann die Gesellschaft in drei Gruppen: Auf der einen Seite Ökofans, die ziemlich konsequent auf Nachhaltigkeit achten, auf der anderen Seite Ökomuffel, denen Lifestyle viel wichtiger ist – und dazwischen die 60 Prozent, denen Sie Ihr Buch und auch den Titel widmen. Wie funktionieren und konsumieren diese 60 Prozent der Menschen?

Johanna Gollnhofer: Die 60 Prozent sind im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen eher pragmatisch und weniger konsequent. Für Ökofans ist klar, dass sie sich grün verhalten, bei Ökomuffeln geschieht das höchstens aus Versehen. Die 60 Prozent in der Mitte aber entscheiden je nach Situation: Was passt für mich, was nicht? Sie ticken anders als Ökofans, und deshalb muss man sie auch anders ansprechen, um sie für nachhaltigen Konsum zu gewinnen.

60 Prozent sind viel. Nimmt man noch die Ökofans dazu, würde das heissen: Die überwiegende Mehrheit der Menschen hat zumindest grundsätzlich eine grüne Einstellung. Stimmt das denn wirklich?

Umfragen zeigen immer wieder, dass 60 bis 70 Prozent der Menschen den Klimawandel für ein wichtiges Thema halten. Doch da zeigt sich jeweils der typische Attitude-Behaviour-Gap: Dass man eine grüne Einstellung hat, heisst noch längst nicht, dass man sich auch grün verhält. Die Mehrheit sagt: Ja, wir sehen das Problem, der Planet hat seine Grenzen und wir müssen etwas ändern. Doch sobald sie das Gefühl haben, nachhaltiges Verhalten könnte ihnen wehtun, stellen sie ihr Wohl über das Wohl des Planeten. Es geht nun darum, diesen 60 Prozent das nachhaltige Handeln einfach und attraktiv zu machen.

Was lässt sich damit bewirken? Verzicht wäre ja am wirkungsvollsten fürs Klima, aber wohl kaum attraktiv für die breite Masse.

Die Vorstellung, dass wir einfach weniger konsumieren, um Ressourcen zu schonen und das Klima zu retten, gehört ins Reich der Fantasie. Denn die breite Masse, die 60 Prozent, wird nicht weniger konsumieren, und andere Länder wollen erst mal beim Konsum aufholen. Deshalb geht es im Marketing nun um die Frage: Wie schaffen wir es, dass Menschen anstelle der konventionellen eine nachhaltigere Alternative wählen? Wenn sich jemand für ein Tofusteak statt Fleisch entscheidet, haben wir die CO2-Differenz, die zwischen beiden Produkten besteht, gewonnen. Menschen müssen ja essen, und sie wollen von A nach B kommen, also geht es darum, das nachhaltig zu tun. Denn wir werden nicht in die Steinzeit zurückkehren.

Das heisst, die Verantwortung für grünen Konsum würde sich zumindest ein Stück weit verlagern – weg von den Konsumentinnen und Konsumenten, hin zu den Unternehmen.

Die Konsumentinnen und Konsumenten können ihre Verantwortung nicht abschieben. Sie sind es, die die nachhaltigeren Produkte dann auch kaufen müssen. Mein Co-Autor Jan Pechmann und ich haben das Ganze stark von der Kommunikation her angeschaut. Nachhaltige Angebote werden oft so kommuniziert, dass sie für Ökofans attraktiv sind. Wenn wir nun aber die breite Masse erreichen und das 60-Prozent-Potenzial erschliessen wollen, müssen wir anders kommunizieren. Damit haben wir einerseits einen grossen Hebel für die Umwelt, andererseits aber auch für den Umsatz. Denn so können Unternehmen endlich mal mit nachhaltigen Angeboten Umsatz machen. Im Moment stecken solche Angebote noch in der Nische fest: Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kauft sie, und deshalb rentieren sie auch nicht so stark.

Nachhaltigere Angebote sind häufig teurer als konventionelle. Auch wenn die Gründe dafür teils nachvollziehbar sind: Um für die breite Masse attraktiv zu werden, müssten die Preise für nachhaltige Produkte gesenkt werden. Geht diese Rechnung für Unternehmen auf?

Unternehmen wollen die Preise nicht reduzieren und auf ihre Marge verzichten, andererseits will die Mehrheit der Kundinnen und Kunden nicht mehr bezahlen und auf einen Teil ihres Einkommens verzichten. Beides ist verständlich. Hier hat Marketing einen Hebel. Denn je mehr wir in die breite Masse reinkommen, desto mehr können wir auf Skaleneffekte hoffen, dass sich also die Stückzahlen erhöhen und dadurch die Kosten senken lassen. Doch der viel grössere Hebel liegt in der Politik. Sie könnte nachhaltige Angebote fördern – zum Beispiel durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz.

Die Stadt St.Gallen setzt sich gemeinsam mit lokalen Unternehmen und Organisationen für den Klimaschutz ein. Was können sie tun, um die breite Masse zu erreichen und das 60-Prozent-Potenzial zu nutzen?

Das Prinzip ist das Gleiche: Wenn Sie als kleineres Unternehmen oder auch als Privatperson die breite Masse überzeugen wollen, funktioniert das nicht mit erhobenem Zeigefinger. Denn die breite Masse fragt zuerst: Was bringt es mir? Erst dann geht es um den Planeten. Wenn Sie Ihre Partnerin von veganem Essen überzeugen möchten, sagen sie nicht: Es ist so toll, weil es vegan ist. Sondern sagen Sie: Das schmeckt so lecker! Denn das ist das Hauptkriterium. Oder nehmen wir die Klimawoche als Beispiel: Wenn Sie in der Bubble bleiben wollen, ist «Klimawoche» garantiert der richtige Titel für eine Veranstaltungsreihe. Will man aber weitere Bevölkerungskreise erreichen, muss man ihnen klarmachen, welche Mehrwerte sie erhalten. Am eigenen Wording kann jede und jeder selbst drehen – Unternehmen genauso wie Privatpersonen. Was immer ganz vorne stehen muss: der Mehrwert für den Menschen. Und der Mehrwert ist leider nicht Klima, Nachhaltigkeit oder Vegan, sondern es ist meistens ganz klassisch: Preis, Qualität, «gefällt mir».

 

Text: Tobias Fischer-Künzler, Stadt St.Gallen